Übersetzung eines Artikels von Corporate Watch
Eingesperrt weil sie auf kurdisch singt: Unterstützung für Nûdem Durak
Donnerstag, 27. August 2015 – 15:38 Uhr
In diesem Jahr wurde die kurdische Sängerin Nûdem Durak zu zehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Sie wurde am 22. April 2015 festgenommen und eingesperrt. Laut ihrer Familie, wurde sie fälschlicherweise wegen Mitgliedschaft in der Union der Gemeinschaften Kurdistans (Koma Civakên Kurdistan KCK) verurteilt. Ebenfalls wurde ihr vorgeworfen, Menschen dabei zu untersützen, der gesetzlich verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) beizutreten und im Jahr 2009 Demonstrationen gegen die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung in ihrer Heimatstadt Cizre, Nord-Kurdistan (der Teil Kurdistans, welcher innerhalb türkischer Grenzen liegt) durch das türkische Militär zu organisieren.
Der KCK wurde 2007 von der PKK als Dachorganisation für Kurden, die im Iran, Irak, der Türkei oder Syrien leben, gegründet. Das Ziel ist es den „demokratischen Konföderalismus“ in Kurdistan zu etablieren. Der türkische Staat sieht die KCK als illegale terroristische Gruppe an und hat seit 2009 tausende Menschen wegen Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit zu der Organisation verhaftet.
Die vermeintlichen KCK Mitglieder, die bisher vor Gericht standen, waren Personen, die mit kurdischen politischen Parteien und Bewegungen assoziiert werden. Die Prozesse wurden oft auf einer schwachen Beweislage aufgebaut. Weitere Informationen finden Sie hier.
Laut Nûdems Familie ist der wahre Beweggrund hinter ihrer Verhaftung, dass sie auf Kurdisch singt und bemüht ist, die kurdische Kultur und Sprache am Leben zu halten. Die Unterdrückung der kurdischen Sprache und Kultur in der Türkei hat eine lange Vorgeschichte. Angefangen bei dem Niederbrennen tausender Kurdischer Dörfer während der 1990er Jahre bis hin zu den vom türkischen Staat durchgeführten momentanen Wasserkraftprojekten mit Talsperren, die zur Überflutung kurdischer Dörfer führen. Falls das Projekt Ilisu Talsperre abgeschlossen wird, werden 199 kurdische Dörfer geflutet und wichtige kurdische historische Gedenkstätten unter Wasser gesetzt werden.
Nach der Gründung des türkischen Republik in 1923 wurde es der kurdischen Bevölkerung verboten kurdisch zu sprechen, zu schreiben und die Sprache zu lernen. Kurdische Einwohner wurden „Bergtürken“ genannt. Seit den 1990ern wurde die Unterdrückung der Sprache gelockert, aber es gibt nach wie vor viele Einschränkungen im Gebrauch der Sprache. Nûdems Fall zeigt, dass die Türkei noch immer diejenigen brutal unterdrückt, die versuchen die kurdische Sprache und Kultur zu erhalten.
Laut dem 2014 erschienenen Bericht zu Ost und Südost Anatolian der Menschenrechtsorganisation Human Right´s Association (IHD), gab es im Jahr 2014 neun Fälle von „erstößen gegen den Gebrauch der Muttersprache“ und vier Personen berichteten, dass ihnen das Recht zu einem Rechtsbeistand in ihrer Muttersprache verwehrt wurde. Diese Maßnahmen haben zum Ziel, die kurdische Identität, Sprache und Kultur auszulöschen, und somit das vom türkischen Staat angestrebte nationalistische Ziel einer vollständigen Assimilation zu erreichen. Nûdems Verhaftung sollte in diesem Kontext betrachtet werden.
Wir haben Nûdems Schwester, Firdevs, interviewt:
Kannst du uns von Nûdem erzählen?
Nûdem ist meine große Schwester. Ich bin 20 Jahre alt und sie ist 26. Als lokale Sängerin ist sie sehr beliebt in Cizre, Sirnak, Mardin and Amed. Sie singt auf Kurdisch, aber manchmal auch auf Türkisch. In ihren Liedern geht es um Freiheit, Natur, Autonomie und die kurdische Sprache. Sie singt auch für Kinder. Sie war noch sehr jung, als sie anfing zu singen, vielleicht 12. Sie hat in dem Kulturzentrum Mem û Zîn in Cizre angefangen. Sie singt in einer Gruppe und spielt auf kurdischen Festivals wie zum Neujahrsfest Newroz, beim „Kürt Kültürünü Yasatma Festival“ und bei Protestaktionen. Sie ist auf einem Festival für die Erhaltung der kurdischen Kultur und gegen das Niederbrennen kurdischer Dörfer in den 90ern aufgetreten.
Wann wurde sie verhaftet?
Sie wurde zuletzt am 22. April 2015 verhaftet. Sie fuhr mit dem Auto nach Mardin und wurde auf dem Weg dorthin von der Polizei verhaftet. Sie brachten sie in das Gefängnis in Mardin und dort ist sie auch jetzt noch. Sie sagten, dass sie Teil der obersten Führung des KCK, der Dachorganisation der PKK, sei. Jeder kennt die Namen der KCK-Führung. Nûdem ist nicht Mitglied des KCK. Selbst wenn man wollte, könnte man es nicht. Man muss 20 oder 30 Jahre Erfahrung als PKK Mitglied haben um Mitglied des KCK werden zu können.
Warum wurde sie wirklich verhaftet?
Sie wurde verhaftet, weil sie Kurdin ist und auf Kurdisch singt. Den Kurden ist es verboten in der Türkei kurdisch zu sprechen. Sie wollen die kurdische Kultur zerstören. Die kurdische Ausbildung und Sprache wurden verboten. Nûdem hat versucht unsere Sprache am Leben zu erhalten. In Cizre liebt jeder Nûdem. Sie ist hier ein wahres Phenomen. Das erste Mal wurde sie 2009 verhaftet. Sie verbrachte damals 6 Monate im Gefängnis. Dann wurde sie 2012 erneut verhaftet und war für ein Jahr im Gefängnis. Danach wurde sie (gegen eine Kaution) freigelassen, aber 2015 wurde sie zu zehneinhalb Jahren Gefängnis verurteit.
Kann man sie im Gefängnis besuchen?
Drei Freunde und die Familie können sie besuchen. Jede Woche kann man sie durch einen Bildschirm sehen und mit ihr telefonieren. Einmal im Monat können wir sie direkt sehen, ohne Bildschirm. Wir können sie dann für 60 Minuten sehen.
Wie geht es ihr?
Sie ist psychologisch in einem schlechten Zustand. Sie liebt ihre Freiheit. Sie hätte nach Europa oder in andere Länder gehen können, aber sie wollte Kurdistan nicht verlassen. Sie hätte die Grenze illegal passieren können.
Kann sie in Berufung gehen?
Die Berufung wurde abgelehnt.
Wie fühlen sich die Familienmitglieder?
Wir sind sehr traurig. Wir sind in einem schelchten psychologischen Zustand. Besondern weil wir nichts tun können.
Gibt es eine Solidaritätskampagne?
Es gibt eine Kampagne auf Facebook, aber sie ist nicht sehr groß – es sind nur unsere Freunde aus Cizre. Es gibt tausende von Leuten wie Nûdem im Gefängnis. Jeder hat schon mal gesehen, wie es jemandem passiert ist. Man muss kein Verbrechen begehen, um in der Türkei verhaftet zu werden. Man muss nur Kurde sein. Zum Beispiel wurde ein Kind zu zehn Jahren Haft verurteilt, weil es Steine geworfen hat. Wir haben ihre Akte an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geschickt und warten auf eine Antwort.
Quelle: Corporate Watch
Übersetzung: ms